Die nordische Kühle des Spätburgunder: Von Mosel bis Rheinhessen
Weinwissen
Weingut Maximin Grünhaus - Mosel
Etwas weiter im Süden hat sich Stefan Kraml von den Bedingungen an der Ahr motivieren lassen, dem Spätburgunder eine Chance zu geben. „Wenn man hier auf die Erfahrung anderer mit dem Anbau zurückgreifen will, dann ist die Ahr die richtige Adresse“, war sich der Betriebsleiter im Weingut Maximin Grünhaus sicher, als der Gedanke Gestalt annahm, sich auch praktisch mit dem Spätburgunder zu befassen. Ähnliche Böden, verwandtes Klima, Steilhänge – wenn es an der Ahr funktioniere, müsse es auch hier an der Ruwer klappen.
Dabei ist das 1882 gegründete Weingut immer ein Riesling-Weingut gewesen. „Ich wurde noch von Karl von Schubert eingestellt, und wir sind beide große Fans guter Rotweine“, erinnert sich Stefan Kraml. Im Gespräch ließ er dem Weingutsbesitzer gegenüber einmal fallen, er wolle nicht sterben, ohne jemals Rotwein gemacht zu haben. Das motivierte auch Karl von Schubert, sich nicht nur gedanklich mit diesem Thema zu befassen. „Schlussendlich waren wir uns einig, dass nur Spätburgunder hier infrage kommt.“ Ermutigt von der Einschätzung der Winzerkollegen von der Ahr, pflanzte Stefan Kraml zum ersten Mal in der Geschichte des Weinguts Maximin Grünhaus Pinot Noir in die Lage Abtsberg. „Es war klar, dass es eine sehr gute Lage sein muss. Die Parzelle ist in Richtung Sonne ausgerichtet, der Untergrund vom typischen Devonschiefer der Region geprägt. Wir haben das einfach riskiert ohne jegliche Vorstellung, was dabei herauskommen wird.“ Die Produktion halten sie sehr schlicht. „Wir haben ja wenig Fläche, deshalb können wir wenig ausprobieren und jedes Jahr nur eine neue Stellschraube verändern.“ Anfangs habe man sich noch nicht getraut, die Spätburgunder spontan zu vergären, inzwischen fühlt sich Stefan Kraml sicher genug, das Potenzial weiter auszuloten und die Maische auch einmal sich selbst zu überlassen. „Bei den Barriques mussten wir ebenfalls verschiedene Belegungen und Tonnellerien ausprobieren. Was in Baden und der Pfalz gut ist, funktioniert nicht zwangsläufig bei uns.“
Darüber hinaus muss der Kellermeister auch mit verschiedenen stilistischen Vorlieben jonglieren. „Beim Riesling sind wir uns meist einig, beim Spätburgunder haben wir schon verschiedene Geschmäcker.“ Während er den kernig maskulinen Typus mag, bevorzugen Karl und Maximin von Schubert eher eine feinfruchtige Art. Da seien sie noch auf der Suche. Dennoch sind sie sich einig, eher einen klassischen und reifefähigen burgundischen Stil zu verfolgen als den „altmodisch deutschen“ Spätburgunder. „Die erste Parzellen haben wir 2007 gepflanzt, die letzten 2012, da merken wir inzwischen, dass das Alter der Reben den Weinen auch zunehmend Tiefe und Reifepotenzial verleiht.“ Gleichzeitig zeige sich jedoch auch der typische Grünhaus-Stil, den man auch den Rieslingen nachsagt: Am Anfang verschlossen und ein wenig streng, mit zunehmendem Alter aber immer offener und zugänglicher. „Wir orientieren uns natürlich an den Topweinen unter den Spätburgundern, aber wir kennen auch unsere Grenzen“, betont der erfahrene Kellermeister. Im „Seitental vom Seitental der Mosel“, wie er die Lage des Weinguts beschreibt, profitiere man zwar von den klimatischen Veränderungen der vergangenen Jahre. „Aber wenn jemand ‚cool climate‘ hat, dann wir.“ Natürlich verändere das auch die Stilistik, aber die Herausforderung sei meist nicht mehr, reife Trauben zu ernten. „Es geht darum, mit extremen Wetterlagen klarzukommen – aber davon lassen wir uns nicht abschrecken. Wir versuchen immer, das Beste aus den Umständen zu machen, damit die Kunden am Ende Freude am Wein haben.
Weingut Georg Breuer - Rheingau
Auch Theresa Breuer kann den klimatischen Veränderungen für den Rheingau viel Positives abgewinnen. Zumindest wenn es um Spätburgunder geht. „Ich erwarte, dass Pinot Noir bei uns ausgewogener werden wird“, sagt die Winzerin. „Die Qualitäten werden immer stabiler und unsere Spätburgunder können sich immer mehr mit den in südlicheren Regionen gewachsenen Pinots messen.“ Etwa zehn Prozent beträgt der Anteil des Spätburgunders und ist mit vier Hektar die zweitwichtigste Rebsorte im Weingut Breuer. Zunehmend spiele zudem Rosé eine wichtigere Rolle. Zu etwa 50 Prozent entstehen aus den Spätburgunder-Trauben inzwischen Roséweine.
Obwohl Spätburgunder im Rheingau eine viel längere Tradition hat als der Riesling, musste er über die Zeit hinter der „weißen“ Konkurrenz zurückstecken. „Die Region beginnt jedoch nach und nach, sich als Spätburgunder-Gebiet neu zu definieren“, empfindet Theresa Breuer die vorsichtige Aufbruchstimmung. Auch wenn der berühmte Assmannshäuser Höllenberg das Aushängeschild des Rheingauer Spätburgunders sei und dazu sehr eigen, sei er aber alles andere als „typisch Rheingau“. „Das Weingut Breuer hat keine eigene lange Tradition mit Pinot Noir, wir wollen dennoch die Herkunft in den Fokus rücken“, erklärt die Winzerin ihren Ansatz. Die Spätburgunderreben stehen in den Lagen in Rüdesheim und Rauenthal, die Weine gehen in die „unaufgeregte Richtung“. Sie seien nicht Burgund, sondern wollten die Kühle des Rheingaus mit dem Einfluss der Sonne verbinden. Eine frische Stilistik, niedriger Alkohol, wenig Barrique, dafür Stück- und Halbstückfässer lautet die Devise im Weingut. „Ich glaube, die typischen und traditionellen Ursprünge des Pinot Noirs sind fruchtige Noten und gleichzeitig die typische Schiefer-Aromatik von Waldboden und Laub sowie eine kühle Würze.“ Auch wenn das ein wenig altmodisch klingen mag, bedeutet es für Theresa Breuer eher ein Besinnen auf die ursprünglichen Wurzeln der Region. Sie erlebe, dass das auch zunehmend Akzeptanz bei den Weintrinkern findet. Gerade in Norwegen und darüber hinaus in Japan gebe es den Trend, deutschen Spätburgunder beispielsweise zu kräftigen Fischgerichten zu genießen.
Weingut Kühling-Gillot - Rheinhessen
„Ich habe nie verstanden, was der Unterschied zwischen einem deutschen Spätburgunder und einem Pinot Noir aus dem Burgund sein soll“, geht Hans-Oliver Spanier selbstbewusst ganz anders an das Thema heran. Die Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts seien natürlich große Weine gewesen, aber „ganz sicher haben Pinots der Bourgogne damals auch im großen Fass gelegen“, ist er überzeugt: „Man braucht gute Lagen und gute Ideen, und dann hat man seine eigene Stilistik“, lautet das Credo des rheinhessischen Weinmachers. Etwa 20 Prozent der Weinberge im Weingut Kühling-Gillot sind mit Pinot Noir bepflanzt.
Dass die Spätburgunder seiner Frau Carolin, für die er im Weingut Kühling-Gillot an den Rheinterrassen bei Bodenheim ebenfalls die Verantwortung hat, aufgrund der Wärme gehaltvoller ausfallen als im Rest der Region, ist für ihn weder Manko noch Nachteil. „Sie sind einfach anders. Diese Spätburgunder haben auf diese Weise einen kraftvollen und doch eleganten Auftritt.“ Dennoch ist er überzeugt, dass sich das Postulat hoher Reife in den Pinot Noirs inzwischen überholt hat. „Um große Spätburgunder mit Finesse und Eleganz zu produzieren, braucht es im Keller eine sehr behutsame Arbeit. Und im Weinberg strenge Ertragsreduzierung und aufwändiges Laubwandmanagement.“ Gerade Letzteres ist wichtig, um die Reife der Trauben und damit unter anderem die Stilistik zu beeinflussen. Trotzdem sei der Ausbau das Entscheidende. Auch im Burgund gebe es unterschiedliche Herangehensweisen. Die Romannée-Conti-Schule mit den vollen Rappen und der Pigeage (dem Unterstampfen der Maische während der Gärung) passe am Rhein einfach nicht. „Aber die Philosophie von Méo-Camuzet mit ganzen Beeren, aber ohne Rappen, das funktioniert gut!“ Statt langer Maischegärung bleibt der Most bei Kühling-Gillot nur etwa zehn Tage in Kontakt mit den Beeren. Die Maische wird überschwallt, und wenn die Gärung mal in Richtung 28 Grad Celsius geht, ein- bis zweimal untergestoßen. „Ich glaube an Frische und Frucht durch ganze Beeren“, erläutert Hans-Oliver Spanier das Ziel dieser Bemühungen.
Auf diese Weise zeigen die Weine sehr deutlich die Unterschiede der Lagen, in denen sie wachsen. Die Weine aus der rheinhessischen Lage Kirchenstück seien die feinfruchtigeren und kühleren, eher geprägt von Mineralität und dem Einfluss des Kalkbodens. Der Spätburgunder aus dem Oppenheimer Kreuz hingegen verkörpert den kraftvollen und gehaltvolleren Typ. „In kühlen Jahren ist Letzterer für mich der größere Wein“, so Hans-Oliver Spanier. „Spätburgunder passt gut zu Riesling, und sagen wir es mal so: Pinot Noir ist auch nichts anderes als großer Weißwein. Eben nur mit Mazeration.“