Die nordische Kühle des Spätburgunder: Die Ahr
Weinwissen
Ein für die deutschen Winzer schwieriger Sommer biegt langsam auf die Zielgerade. Während in Südeuropa Hitzewellen und Trockenheit den Menschen und der Natur zu schaffen machten, erinnerte der deutsche Sommer 2021 eher an fast schon vergessen geglaubte Zeiten mit mal mehr oder weniger kühlen und vor allem nassen Sommerwochen. Nach den vergangenen Hitzesommern waren die zum Teil ergiebigen Regenfälle für Pflanzen und Vegetation eine Erholung – für die Winzer bedeuteten sie allerdings ein erhebliches Maß an Aufwand für den Pflanzenschutz, der nicht immer von Erfolg gekrönt war.
Die bis zu sieben Meter hohe Flutwelle an der Ahr im Juli bedeutete den dramatischen Höhepunkt dieses von Wetterextremen geprägten Sommers und betraf auch zahlreiche Winzer. Während die Weinberge an den steilen Hängen zum Großteil von den Fluten verschont blieben, sind Keller, Traktoren und Maschinen, Fässer und Flaschen, Vinotheken und Wohnhäuser vieler Weingüter dem Wasser zum Opfer gefallen. Solidarität erfuhren die Ahr-Winzer von Kollegen und Freunden, die nicht nur zum Aufräumen kamen, sondern auch die dringend notwendigen Arbeiten in den Weinbergen mit erledigten – wenn auch in vielen Fällen noch nicht klar sein dürfte, wie die in wenigen Wochen beginnende Ernte überhaupt verarbeitet werden kann.
Weingut Deutzerhof
Der Deutzerhof in Mayschoß liegt direkt am Mönchsberg, weit genug entfernt von der Ahr, um mit einem blauen Auge davon zu kommen. „Unser Weingut grenzt an den Auelbach, den haben wir im Auge behalten“, berichtet Jürgen Doetsch, seit Januar 2020 Inhaber des Deutzerhofs. Am Tag zuvor hatte ein Bagger den Parkplatz vor der neuen Vinothek mit Lavagestein aufgefüllt. „Mittags um vier Uhr stand das Wasser schon im Keller, da war klar, dass wir etwas tun mussten.“ Der Bagger grub das Lavagestein also wieder aus und baute damit einen Wall vor der Vinothek, um sie vor dem eindringenden Wasser zu schützen. „Als wir am nächsten Tag den Zustand im Dorf gesehen haben, hat es uns die Sprache verschlagen!“ Weil es seitdem keine Infrastruktur mehr vor Ort gibt und die noch vorhandenen Straßen eher Buckelpisten gleichen, ist die Vinothek nun dennoch für Besucher geschlossen. „Immerhin können wir wieder Wein versenden“, so der Weingutsbesitzer.
Die tagelangen Aufräumarbeiten im Weingut und auch zuhause bei den Mitarbeitern hatten die Arbeiten in den Weinbergen ein wenig in Rückstand geraten lassen. Dass der Deutzerhof mit gerade mal sechs Hektar das kleinste Weingut an der Ahr ist, erwies sich in dieser Situation als unschätzbarer Vorteil. „Wir haben das inzwischen wieder aufgeholt“, zeigt sich Jürgen Doetsch erleichtert. Nachdem die schlimmsten Schäden beseitigt waren, rückte das Team in die Weinberge aus, um die Traubenzone zu entblättern, damit sie gut durchlüftet und damit vor Krankheitsbefall und der Kirchessigfliege geschützt sind. „Unser Hauptaugenmerk liegt nun darauf, Fäulnis in den Beeren zu vermeiden. Wir konzentrieren uns vor allem auf die Toplagen, um in jedem Fall die hochwertigen Qualitäten zu sichern“, richtet der Weingutsbesitzer seinen Fokus auf die kommenden Wochen. „Die Ernte steht bald vor der Tür und wir haben nicht mal fließendes Wasser“, sagt er. Um Platz für die neue Ernte zu haben, müssten aber vorher die noch vollen Tanks in Flaschen abgefüllt werden. Ohne Leitungswasser ein Ding der Unmöglichkeit.
Lange Jahre pflegte Jürgen Doetsch eine enge Freundschaft mit Wolfgang Hehle, dem früheren Eigentümer des Deutzerhof. Dessen Witwe entschloss sich 2019, das Weingut dem langjährigen Freund zu verkaufen. Weinliebhaber Doetsch, Inhaber einer Andernacher Firma, die unter anderem rund 100 Tankstellen betreibt, setzt so nun die Tradition der Quereinsteiger im Weingut fort. „Seitdem bin ich so etwas wie der Lehrling im eigenen Betrieb“, sagt er schmunzelnd. Die Mannschaft des Deutzerhofs hat er komplett übernommen, das sei ihm auch enorm wichtig gewesen. Gemeinsam mit Kellermeister Hans-Jörg Lüchau und Außenbetriebsleiter Christoph Hoffmann hat er inzwischen einige Weichen neu gestellt. Beispielsweise in einen neuen Entrapper investiert, der die Trauben noch schonender von den Stielen trennt. Und beschlossen, ausnahmslos alle Weine in Holzfässern auszubauen, auch die einfachen. Um die Qualität weiter voranzutreiben, wird nun noch selektiver gelesen, beispielsweise die jungen Rebstöcke getrennt von den alten. „Das ist alles kein Big Bang“, sagt Jürgen Doetsch, „nur Kleinigkeiten, um das letzte Quäntchen an Qualität noch zu verbessern.“ Dabei hilft auch, dass das Sortiment weiter gestrafft wurde. „Riesling ist ja nun nicht gerade die Kernkompetenz der Ahr. Deshalb bauen wir unsere verbliebenen Rieslinge nun nur noch als Sekt aus.“
Die Herkunft der Weine ist für Jürgen Doetsch der entscheidende Faktor. „Die Stilistik der Pinot Noirs ist ganz klar vom Terroir der Ahr geprägt.“ Die Weine sollen die typische Mineralität abbilden, dafür stimmt sich der Quereinsteiger eng mit seinem kompletten Team ab, beobachtet aufmerksam den Entwicklungsstand in den Weinbergen. „Wir versuchen, die Pinot Noirs mit etwa 95 Grad Oechsle zu lesen, entrappen dann sehr schonend und vergären spontan auf der Maische“, erläutert er die Vorgehensweise. Runde und weiche Tannine, Frucht, Eleganz und Mineralität sucht er in den Weinen. Gleichzeitig findet er auf wenigen Kilometern zwischen dem Altenahrer Eck und Heimersheim nicht nur 125 Meter Höhenunterschiede, sondern auch ganz unterschiedliche Böden, die die Spätburgunder prägen. „Die Landskrone ist am nächsten am Rhein gelegen, dort gibt es Basalt im Untergrund. Das macht die Weine weich und filigran.“ In der Lage Neuenahrer Kirchtürmchen sorgen eine dicke Lehmschicht und Schiefer für einen kräftigen, ausdrucksstarken Spätburgundertyp. Die Weine von den Schieferböden des Altenahrer Ecks hingegen zeigen eine eher kräuterwürzige Säure und die meiste Mineralität. „Wir können in unseren Spätburgundern so die ganze Vielfalt der Ahr abbilden“, ist Jürgen Doetsch überzeugt.
Weingut Nelles
Im nur knapp 25 Kilometer entfernten Weingut Nelles in Heimersheim, einem Stadtteil von Bad Neuenahr, hat das Hochwasser ganz andere Spuren hinterlassen. „Wir haben das Weingut gestern besucht, da hat es die neue Vinothek komplett wieder weggerissen“, ist Jürgen Doetsch noch immer fassungslos über die Gewalt der Wassermassen. Winzer Philipp Nelles wirkt am Telefon schon wieder verhalten optimistisch: „Ich denke, dass wir Schritt für Schritt zurückkommen werden.“ Die Weinberge sind von den Wassermassen verschont geblieben, indirekt hat das Hochwasser dennoch Spuren hinterlassen. „Der Krankheitsdruck war natürlich sowieso schon extrem und dann hatten wir keine Maschinen für den Pflanzenschutz“, schildert der Winzer die zusätzliche Herausforderung. Dennoch ist er zuversichtlich, die kommende Ernte mit gutem Ergebnis zu meistern. „In ein paar Tagen sind wir soweit, dass wir für die Ernte gerüstet sind. Unsere Maschinen sollten in Kürze fertig repariert wieder zurückkommen und dann stehen wir bereit.“
Auf acht von zehn Hektar Weinbergen wächst Pinot Noir – ein klares Statement für die anspruchsvolle Sorte. „Wir wollen Kühle, Frische und Eleganz auf der Flasche“, erklärt der Winzer das Ziel seiner Bemühungen in den Reben und im Keller. Seine drei Spätburgunder Großes Gewächs wachsen in ganz unterschiedlichen Lagen: in der Landskrone, dem Burggarten und in der Schieferlay. „Das sind Spätburgunder mit individuellem Charakter und Ausdruck.“ Von fruchtig-betont bis gehaltvoll und kräftig spiegeln sie ihre Herkunft von den unterschiedlichen Schiefer-, Basalt- und Lehmböden wider.
Im Keller verfolgt Philipp Nelles unterschiedliche Ausbau-Varianten, um die Unterschiede der Weinlinien herauszuarbeiten. Grundsätzlich werden die Spätburgunder-Trauben entrappt. Nach der Maischegärung lagern die Gutsweine in großen Fudern, die Ortsweine in gebrauchten Barriques und die Großen Gewächse in neuen und bis zu drei Jahre alten, kleinen Eichenfässern. Erst nach 18 Monaten kommen die GGs auf die Flasche. „Natürlich sind die großen Burgunder unser Vorbild – nicht um sie zu kopieren, sondern um uns inspirieren zu lassen“, betont Philipp Nelles die Eigenständigkeit der Spätburgunder von der der Ahr. Abgesehen von den Wetterextremen des Jahres 2021 hat der Klimawandel ihm bisher in Karte gespielt. „Wir konnten in den vergangenen Jahren bei unseren Spätburgundern eine gute Mischung aus Reife und animierender Säure in die Weine bringen.“
Für die Ahr wünscht er sich grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit. „Die Weine von der Ahr sind unvergleichlich in Eleganz, Mineralität, Frische und ihrer besonderen Würzigkeit“, betont er die Einzigartigkeit seiner Spätburgunder. „Die Ahr sollte für Burgunder in Deutschland stehen und als hochwertige Burgunderregion anerkannt sein.“ „Wir müssen es schaffen, die Weine der Ahr wieder mehr ins Gespräch zu bringen“, stimmt ihm Jürgen Doetsch zu. Gerade Gastronomen und Fachhändler haben längst die Klasse der Spätburgunder erkannt, das müsse nun auch wieder mehr bei den Weintrinkern ankommen. Besonders in Regionen in Deutschland, in denen kein Wein angebaut werde, sehe er noch jede Menge Potenzial. „Wenn ich Pinots aus der Bourgogne probiere, wird mir immer klar, dass wir uns mit unseren Spätburgundern nicht verstecken müssen“, sagt er selbstbewusst.